Die kaiserliche Marine 1871 - 1918

Die Geschichte der kaiserlichen Marine muß richtig gesehen eigentlich in zwei Perioden geteilt werden, nämlich in den Zeitraum von 1871 bis 1888 und von da ab bis 1918.

Die kaiserliche Marine von 1871 - 1888

Im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 kam es zu keinen nennenswerten Aktionen der mehrfach überlegenen französischen Flotte gegen deutsche Schiffe und Küsten, da, ähnlich wie 1864 im dänischen Krieg, die Entscheidung durch das siegreiche Heer überraschend schnell erfolgte.                Nach der Reichsgründung im Januar 1871 in Versailles wurde dann aus der Norddeutschen Bundes- flotte die Kaiserliche Marine, die Flotte des Reiches unter preußischem Oberbefehl in der Person Kaiser Wilhelm I. . Das bisherige Marineministerium wurde 1872 in Kaiserliche Admiralität umbenannt, deren erster Chef General der Infanterie von Stosch wurde.                                       Die Kaiserliche Marine hatte in den ersten Jahrzehnten keinen Ehrgeiz, mit den großen Hochseeflotten etwa Englands oder auch Frankreichs zu konkurrieren. Verteidigung der Küsten und Schutz des deutschen Seehandels waren ihre Hauptaufgaben, wie von Stosch in einer Denkschrift formulierte.    Nach seinen Plänen sollten zwei Auslandsstationen, in Ostasien und in Westindien, mit je zwei Kor- vetten und einem Kanonenboot besetzt werden, ein weiteres “fliegendes” Auslandsgeschwader sollte eine Panzerfregatte, zwei Korvetten und ein Kanonenboot umfassen. Die Hauptstreitmacht aber sollte der Küstensicherung dienen; von dieser acht Panzerfregatten in der Nordsee und sechs in der Ostsee. Alles in allem also das Konzept einer Defensivflotte, deren Ausbau nun zügig in Angriff genommen wurde. Bis 1882 sollten zu den bisher vorhandenen und den bereits geplanten Schiffe acht Panzerfre- gatten, sechs Panzerkorvetten, sieben gepanzerte Monitore, zwanzig ungepanzerte Kreuzerkorvetten, sechs Avisos, 18 Kanonenboote sowie 28 Torpedofahrzeuge und 5 Schulschiffe hinzukommen.

Die kaiserliche Marine unter Wilhelm II. 1888 - 1918

Mit Wilhelm II. kam ein an Schiffahrts- und Flottenfragen hochinteressierter Mann auf den Thron, der schon als Junge gesegelt war und eigene Skizzen von Kriegsschiffentwürfen gemacht hatte. Er war stark beeindruckt von den Theorien des amerik. Marinehistorikers A.T. Mahan; und von Bedeutung für die Marine wurde es dann, daß, anders als bei der Armee, deren Teile im Frieden den Landesfürsten unterstanden, dieser seefahrtbegeisterte Kaiser ihr engagierter persönlicher Chef wurde. Caprivi, der 1890 Bismarck als Reichskanzler folgte, wurde schon im Juli 1888 durch den Vizeadmiral Graf Monts abgelöst. Zum ersten Mal war damit ein Seeoffizier Chef der Admiralität, der allerdings schon ein halbes Jahr später starb und durch den Vizeadmiral Freiherr von der Goltz ersetzt werden mußte.    Im Frühjahr 1889 wurde das Marinekabinett gebildet, das unter der Führung eines Flaggoffiziers à la Suite des Kaisers (erster Chef Kapitän zur See von Senden-Bibran) für die Personalangelegenheiten des Offizierskorps zuständig war, und an die Stelle der Admiralität als oberste Marinebehörde traten das von Vizeadmiral von der Goltz geführte Oberkommando der Marine und das von einem Staatssekretär geleitete Reichsmarineamt, dem die gesamte Verwaltung einschließlich der Konstruktionsabteilung, der für Planung und Ausbau wichtigsten Behörde, unterstand.                                Zuerst war Konteradmiral von Heusner, später seit 1897 Konteradmiral Tirpitz Staatssekretär des Marineamtes.                                                                    1895 hatte Admiral von Knorr den Freiherrn von der Goltz als Chef des Oberkommandos abgelöst. 1899 übernahm der Kaiser persönlich den Oberbefehl über die Marine, und statt des Oberkommandos wurde der bis zum Ende des I. Weltkrieges bestehende Admiralsstab geschaffen, dessen erster Chef Konteradmiral Bendemann und kurz darauf Vizeadmiral von Diederichs wurde. Admiralsstsab, Marineamt und Marinekabinett unterstanden nun als selbständige Führungsgremien direkt dem Kaiser. 1900 wurden die schweren Kampfschiffe zu einer ständigen Flotte zusammengezogen, die unter dem ersten Flottenchef Großadmiral von Koester in gründlichen Exerziermanövern ihre Gefechtsausbildung erhielt.Nachfolger von Koester als Flottenchef wurden die Admirale Prinz Heinrich ab 1906,       von Holtzendorf ab 1909 und von Ingenohl von 1912 bis 1915.                                 Die Gesamtstärke der Marine betrug gegen Ende des Jahrhunderts (nach der Etatstärke für das Rech- nungsjahr 1899) 28.764 Personen, von denen 11.887 zum seemännischen, 6.569 zum Maschinen-, 2.198 zur Matrosenartillerie-, 1.239 zum Marineinfanterie- , 358 zum Sanitäts- Personal gehörten, sowie einige hundert zu verschiedenen Verwaltungen. Es gab 1.118 Offiziere, davon 852 Seeoffiziere, 128 Maschineningenieure und 40 Marineinfanterieoffiziere. Dem Artilleriewesen gehorten 57, dem Torpedo- wesen 26 und dem Minenwesen 15 Offiziere an. Außerdem gab es 142 Marineärzte; ferner 1.119 Deck- offiziere und 5.193 Unteroffiziere, 18.159 Gemeine und 1.300 Schiffsjungen.                     Den Aufbau der Flotte bestimmte nun der von Tirpitz betonte Zweck: ihre höchste Kriegsleistung müsse in einem Verteidigungskrieg auf der Nordsee in einer Seeschlacht liegen. Die Engländer reagierten ent- sprechend; und so begann das spektakuläre Wettrüsten der britischen und deutschen Schlachtflotten, deren Höhepunkt dann die von Tirpitz gewissermaßen herbeigeplante, strategisch völlig wirkungslose Skagerrakschlacht war.                                                              Als am 28. Juni 1914 mit dem Attentat von Sarajevo die Kriegsgefahr heraufzog, fand gerade in Kiel, in Anwesenheit des Kaisers, die alljährliche Kieler Woche statt. Britische Kriegsschiffe waren zu Gast, wie die deutschen Schiffe setzten sie aus Anlaß der Trauer über den ermordeten österreichischen Thron- folger die Flaggen halbstocks und verabschiedeten sich zwei Täger später bei den Gastgebern mit dem Funkspruch “Friends today, friends in future, friends forever”. Einen Monat später war die Freund- schaft vorbei, der Krieg war ausgebrochen.                                               Die deutsche Flotte besaß zu diesem Zeitpunkt 14 modernste Schlachtschiffe, 16 ältere Linienschiffe, 4 Schlachtkreuzer, 13 Große und 34 Kleine Kreuzer, 90 Torpedoboote und 21 Uboote. Alle modernen Großkampfschiffe bis auf Goeben befanden sich in der Heimat. Mit den Engländern kam es Ende August zu einem Seegefecht bei Helgoland, im Januar 1915 zum Gefecht bei der Doggerbank - in der Ostsee war die Marine vornehmlich bei der Eroberung der baltischen Küste und Inseln beteiligt. Neben dem U-Boot-Krieg, der ab Februar 1917 auch uneingeschränkt gegen Handelsschiffe erfolgte, neben Vorpostendienst-, Küstensicherungs- und Minenunternehmungen und dem Kreuzerkrieg in Übersee war das weitaus überragende Ereignis des Seekrieges die Schlacht vor dem Skagerrak am 31. Mai und 1. Juni 1916 . Gewissermaßen hatte man nur auf diese Schlacht hin gerüstet und exerziert, fast alle dicken Schiffe der Marine waren daran beteiligt. Mehr als 100.000 Mann auf 247 Schiffen standen ein- ander gegenüber, von diesen verlor die britische Flotte vierzehn mit 115.025 t und 6094 Mann, die deutsche elf mit 61.180 t und 2.551 Toten. Die Deutschen haben diese Schlacht hervorragend bestanden, genützt hat sie ihnen nichts.                                                          Die großen Schiffe lagen nach dieser Schlacht, von gelegentlichen Einsätzen in Nord- und Ostsee abgesehen, meist in den Stützpunkten Wilhelmshaven und Kiel; nachdem der Krieg praktisch verloren war, gaben die Meuterei unter Angehörigen der Hochseeflotte und ein Matrosenaufstand in Kiel den Anstoß zur Novemberrevolution von 1918, die das Ende des Kaiserreichs bedeutete.

Auszüge aus “Die Schiffe der deutschen Flotten 1848-1945” von Hans Jürgen Hansen, Urbes Verlag